In Deutschland wurde bereits vor rund zehn Jahren vor dem Reaktorunfall in Fukushima ein schrittweiser Atomausstieg beschlossen. Das endgültige Abschaltdatum hatte der Bundestag im Zuge des Ukrainekrieges und der daraus resultierenden Energieknappheit im letzten November noch einmal verschoben. Nun ist es tatsächlich so weit: Bis spätestens Mitte April werden die letzten drei Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 abgeschaltet. Deutschland verzichtet endgültig auf diese riskante und wenig nachhaltige Form der landeseigenen Energiegewinnung. Die Redaktion von „Die Farbe des Geldes“ interviewte hierzu Dominic Hereth, Leiter Energie und Infrastruktur der Triodos Bank.

Redaktion „
Die Farbe des Geldes“: Dominic, warum hat die Triodos Bank Atomkraft schon immer ausgeschlossen? 

Dominic Hereth

Die Triodos Bank will sicherstellen, dass die von ihr finanzierten Unternehmen und Organisationen den Menschen und der Umwelt keinen Schaden zufügen. Atomenergie hat sie bereits seit ihrer Gründung im Jahr 1980 ausgeschlossen. 1997 wurde dies nochmal explizit in unseren sogenannte Mindeststandards festgehalten. Diese definieren, worin wir generell nicht investieren. Dazu zählt auch, dass wir keine nuklearen Energieträger finanzieren und auf alle fossilen Energien wie Kohle, Erdöl und Gas verzichten. Das gilt für unser gesamtes Geschäft, insbesondere für Kredite und Investments der Triodos Bank und von Triodos Investment Management.

Was spricht aus Deiner Sicht gegen Atomkraft und was für Erneuerbare?

Ein Großteil unseres Wohlstands basiert auf fossilen Energien und Atomenergie. Wir haben jedoch nie den ehrlichen Preis dafür gezahlt. Externe Kosten, also die negativen Auswirkungen, z. B. durch entstehenden Abfall, verursachte Schäden und potenzielle Risiken, wurden bei der Produktion und dem Verkauf des Stroms nie eingepreist. Bei Atomkraft hätten von Anfang an die langfristigen Kosten für die Lagerung des Endmülls bedacht, die Risiken eines GAUs beziffert und die entsprechenden Beträge in Rücklagen angespart werden müssen. Dann wäre der Strom zwar nicht so billig gewesen, jedoch hätten wir einen fairen Preis gezahlt und die Kosten der Endlagerung nicht auf die kommenden Generationen verlagert. Erneuerbare Energien wären dann schon sehr viel früher wettbewerbsfähig gewesen und als preiswertere Technologien erkannt worden. Für den Betrieb von Windenergieanlagen besteht übrigens eine Verpflichtung, dass für den Rückbau der Anlagen Rücklagen angespart werden müssen. Das wäre für Kohle- und Atomkraft auch eine gute Idee gewesen.

Es gibt Länder wie Belgien oder Frankreich, die Atomkraft als nachhaltig definieren aufgrund der niedrigen Treibhausemissionen – ist da was dran?

Atomkraft war noch nie eine nachhaltige Technologie und wird es auch nie werden. Das hat die Triodos Bank schon bei ihrer Gründung vor 43 Jahren erkannt. Tschernobyl und Fukushima haben dies auf bittere Weise bestätigt. Ein GAU ist natürlich sehr selten, die Folgen sind aber verheerend und die Kosten nicht versicherbar, was man den Versicherungen nicht übelnehmen kann. Auch die Behauptung, dass Atomstrom CO2-neutral sei, ist ein Mythos. Die Treibhausgasemissionen sind größtenteils der Stromproduktion vor- und nachgelagert. Betrachtet man den gesamten Lebensweg – von Uranabbau über Brennelementherstellung, Kraftwerksbau und -rückbau bis zur Endlagerung – so ist in den einzelnen Stufen des Zyklus ebenfalls ein hoher Energieaufwand nötig, bei dem Treibhausgase emittiert werden. Gerade bei der Endlagerung ist noch gar nicht klar, wie wir das bemessen können und was dies für langfristige Folgen hat. Lebenszyklusstudien zeigen, dass es deutlich Ressourcen sparender ist, erneuerbare Energieträger zu betreiben. Nach neuen Daten des deutschen Umweltbundesamtes sowie einer Lebenszyklus-Berechnung des World Information Service on Energy (WISE) beispielsweise wird bei der Kernenergie 3,5-mal mehr CO2 pro erzeugte Kilowattstunde freigesetzt als bei Photovoltaik-Anlagen. Im Vergleich zur landbasierten Windkraft ist es 13-mal mehr CO2 und gegenüber der Wasserkraft sogar 29-mal mehr CO2.

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Ist unsere künftige Energieversorgung gesichert? Was können wir tun, um sie in Einklang mit CO2-Zielen zu bringen?

Wir beziehen aktuell immer noch einen sehr großen Teil unserer Energien aus nicht nachhaltigen Trägern wie Kohle, Erdöl und Erdgas. Lediglich in der Stromversorgung haben wir mittlerweile einen Anteil von nahezu 50 % an erneuerbaren Energien erreicht. Hinsichtlich der Sicherheit der Energieversorgung gibt es jedoch viele Einflussfaktoren, die wir als Bank nicht abschließend bewerten können. Die Komplexität der Energieversorgung ist extrem hoch, so dass wir keine falschen Aussagen machen möchten. Ein aktueller Bericht der Bundesnetzagentur und Bundesregierung kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass die Versorgung mit Elektrizität von 2025 bis 2031 gesichert ist. Ausgegangen wird dabei davon, dass der gesetzlich geplante Ausbau der erneuerbaren Energien, die Modernisierung der Kraftwerkparks in Richtung „Wasserstoff-Readiness“ sowie der Netzausbau in time gelingen und der Kohleausstieg bis 2030 erfolgt. Unserer Meinung nach hängt tatsächlich viel vom Netzausbau ab. Netzengpässe an Knotenpunkten der erneuerbaren Energien müssen beseitigt werden. Der Bedarf an Speicherlösungen wird zunehmen. Sowohl die Industrie als auch die Verbraucher sollten als Abnehmer flexibler werden, und meines Erachtens dazu incentiviert werden, ihren Strombedarf stärker an Sonne oder Wind auszurichten.

Insbesondere bei der nachhaltigen Wärmeerzeugung und Mobilität müssen wir künftig noch stark aufholen. Wenn wir diese Bedarfe auf Strom umstellen, dann wird unser Strombedarf in der Zukunft deutlich ansteigen. Wir müssen also alles daraufsetzen, um nachhaltige Technologien wie Windenergie und Photovoltaik in Deutschland weiter voranzubringen. Windparks, on- und offshore, müssen ausgebaut werden. Gebäudefassaden müssen noch flächendeckender mit Photovoltaik ausgestattet werden. Wir sollten Nachhaltigkeit mitdenken in allen Bereichen, um Energie sauber zu produzieren und nach Verfügbarkeit zu nutzen.

Die Bundesrepublik war schon immer ein Importland für Energien. Wir importieren vor allem die Energieträger Mineralöl, Gas, Steinkohle und Uran. Die inländische Produktion von Steinkohle wurde Anfang 2019 beendet. Von diesen „alten“, nicht nachhaltigen Energieträgern wollen wir definitiv weg. Aber es wird auch weiterhin so sein, dass wir mit anderen Ländern zusammenarbeiten – damit in Zukunft saubere Energie nach Deutschland kommt. So reiste Wirtschaftsminister Harbeck im Dezember nach Namibia, zum perspektivischen Erwerb grünen Wasserstoffs. Der Aufbau einer Produktion mit einem Investitionsvolumen von rund zehn Milliarden Dollar ist geplant.

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Und natürlich müssen wir trotz allem den Energiebedarf reduzieren ...

Zugleich bleibt es auf jeden Fall ebenso wichtig, dass wir unseren Energiebedarf reduzieren! Und alle diese Maßnahmen müssen wir gleichzeitig, sofort und konsequent durchführen!

Wenn man ein fundamentales Gerechtigkeitsprinzip anwenden würde, stünden laut dem Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung jedem Menschen rein rechnerisch bis Mitte des Jahrhunderts rund drei Tonnen CO2 jährlich zur Verfügung. Davon sind die Menschen in Deutschland allerdings weit entfernt. Aktuell verursacht jeder Einzelne hierzulande zehn bis elf Tonnen CO2 pro Jahr. Dabei stoßen Menschen mit höheren Einkommen deutlich größere Mengen an Treibhausgasen aus. Viele Millionäre in Deutschland kommen nach Daten des Pariser "World Inequality Lab" auf jährlich mehr als 100 Tonnen CO2 pro Person. Weltweit verursachen mehrere hunderttausend Superreiche demnach pro Kopf sogar mehr als 2.000 Tonnen CO2 jährlich. Ein:e Inder:in ist für 1,4 Tonnen CO2 jährlich verantwortlich. Wir müssen für mehr Verhältnismäßigkeit sorgen. Eigentlich ist alles nur geborgt. Wenn es alle so machen würden, wie wir hier im Westen, wären die Ressourcen der Erde noch schneller verbraucht. Vielleicht sollten wir mal darüber nachdenken, ob unser Wohlstand in den 70er Jahren für ein gutes Leben auf diesem Planeten nicht auch ausreichend war. 

Der Interviewpartner:

Dominic Hereth beschäftigt sich seit 2007 mit der Finanzierung von erneuerbaren Energieprojekten. Nach ersten Erfahrungen bei einer deutschen Großbank, fokussierte er sich auf Wasserkraftprojekte im Balkan, der Türkei und im Kaukasus. Seit Mitte 2015 bringt er den Ausbau von erneuerbaren Energien und Infrastruktur-Themen mit der Triodos Bank voran und leitet seit Anfang 2017 das Energie- & Infrastruktur-Team.

 

Infobox: Mythos "Atomkraft ist CO2-neutral"

  • Studien, die den gesamten Lebenszyklus von Atomkraftwerken sowie die Energiegewinnung vom Uran-Abbau bis zur Atommülllagerung betrachten, sind selten. Einige Forscher verweisen auf noch fehlende Daten.
  • Studien vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen in 2017 berechneten Treibhausgasemissionen von Kernkraftwerken über den gesamten Lebenszyklus im Bereich von 3,7 bis 110 Gramm CO2 pro Kilowattstunde mit einem Durchschnittswert von 12 CO2-Äquivalenten pro Kilowattstunde.
  • Das World Information Service on Energy (WISE) hat in einer Studie von 2021 den CO2-Ausstoß auf 117 Gramm pro Kilowattstunde Atomstrom berechnet und dabei den gesamten Lebenszyklus berücksichtigt.
  • Auch andere Berechnungen kommen auf ähnliche Werte, wenn der gesamte Lebenszyklus sowie der Produktionsprozess berücksichtigt wird: 68-180 Gramm CO2/kWh beträgt die Spanne - je nach Strommix bei der Urangewinnung und weiteren Variablen - laut Mark Z. Jacobson, dem Direktor des Atmosphere and Energy Program der Stanford Universität.
  • Bezieht man den Lebenszyklus eines AKW mit in die Berechnung ein, steht die Kernenergie zwar besser da als fossile Energieträger wie Kohle oder Gas (wobei man jedoch noch gar nicht abschätzen kann, was final auf eine Endlagerung entfallen würde). Doch der Abstand zu den erneuerbaren Energien ist beträchtlich.
  • Nach neuen Daten des deutschen Umweltbundesamtes sowie der WISE-Lebenszyklus-Berechnung wird bei der Kernenergie 3,5-mal mehr CO2 pro erzeugte Kilowattstunde freigesetzt als bei Photovoltaik-Anlagen. Im Vergleich zur landbasierten Windkraft ist es 13-mal mehr CO2 und gegenüber der Wasserkraft sogar 29-mal mehr CO2.