Wohin man auch schaut - auf das Verhältnis zwischen den Nationen, zwischen Unternehmen, zwischen Menschen oder Geschlechtern: Wir leben in einer Welt, in der es fast immer ums Gewinnen und um die eigene Gewinnmaximierung geht. Die Folge: Auf allen zentralen Ebenen - gesellschaftlich, wirtschaftlich wie sozial - produziert dieses System auch viele Verlierer. Vielerorts herrscht noch immer das Charles Darwin zugeschriebene, aber ursprünglich vom Sozialphilosophen Herbert Spencer stammende Survival of the fittest.

Es scheint ein nicht enden zu wollender Kreislauf zu sein, in dem Gewinner immer mehr gewinnen und Verlierer dem Verlieren kaum entkommen können. Nirgends ist diese Logik, das Auseinanderklaffen der Schere zwischen arm und reich, schneller zu durchschauen als bei einer Runde Monopoly. Und genau aus diesem Grund wurde das Brettspiel vor mehr als einhundert Jahren auch entworfen: Um auf den Missstand hinzuweisen, dass ungleiche Vermögensverhältnisse bei unregulierter Kapitalvermehrung immer weiter auseinanderdriften. In einer ursprünglichen Version (die Erfinderin Elizabeth Magie nannte das Spiel „Landlord’s Game“, also Vermieterspiel) gab es sogar zwei Varianten. Aus der heute geläufigen Monopol-Variante, die Gewinner und Verlierer erzeugt, wird durch einen simplen Eingriff in die Spielregeln (eine Besteuerung von Boden- und Ressourcenbesitz) eine fairere Prosperitäts-Variante, in der alle Spieler ihren Wohlstand mehren.

Wir können auch anders

Wir können auch anders, wie Maja Göpel in ihrem gleichnamigen neuen Buch

Dr. Thorsten Nieuwenhuizen

anhand von Monopoly versus Anti-Monopoly ebenso erläutert wie ich in meinem Vom EGO zum ECO. Der Antimonopol- und damit Gemeinwohl-Variante liegt die Theorie des Wirtschafts- und Sozialreformers Henry George zugrunde. Doch die ist ebenso in Vergessenheit geraten wie das ursprüngliche Landlord’s Game. Denn sowohl die Geschichte dieses Gesellschaftsspiels als auch die des Wirtschaftens nahmen einen anderen Verlauf. Mit dem Patent für das heutige Monopoly wurde ein gewisser Charles Darrow zum ersten Spielemillionär. Für die kommerziell nicht erfolgreiche, aber sozialpädagogisch wertvolle Vorgängervariante Landlord’s Game wurde Elizabeth Magie mit läppischen 500 Dollar abgespeist.

Was können wir aus dieser aktuell sich auch als Internet-Mem verbreitenden Geschichte lernen? Die monotone Dominanz der Monopole ist nicht die einzige Spielweise und Spielwiese. Der Mensch ist nicht von Natur aus wettbewerbsorientiert und im Grunde böse, wie uns glauben gemacht wird. Vielmehr ist der Mensch Im Grunde gut und kooperativ, wie Rutger Bregman 2020 anekdotenreich zu vermitteln verstand (Triodos-Rezension). Vertrauen wir auf das Gute im Menschen, so Bregman, öffnet sich uns eine neue Welt, ein Survival of the friendliest.

Allerdings wirkt jegliche Freundlichkeit zunächst systemirritierend. Sobald ein Spieler im sozioökonomischen Spiel des Lebens auf einmal nicht mehr den eigenen Gewinn, sondern das Gemeinwohl maximieren will, wirkt er wie ein friendly alien, so der Organisationsexperte Frederic Laloux. Wenn sich solche friendly aliens jedoch zusammentun, entfaltet sich im Miteinander eine gestalterische Kraft, die das ursprüngliche System zu verändern vermag. Das gleiche Phänomen lässt sich bei der Verpuppung von der Raupe zum Schmetterling beobachten. Sobald sich im Kokon die sogenannten Imagozellen, welche die neuen Schmetterlingsstrukturen in sich tragen und zunächst als körper- bzw. systemfremd bekämpft werden, zusammentun, ist dies der biologische Kipppunkt für die Metamorphose. Vernetzt gewinnen sie die Oberhand gegen die Strukturüberbleibsel der Raupe Nimmersatt. Nach der Verpuppung entfaltet sich ein prächtiger Schmetterling, um sich in einer ganz neuen Welt auszuprobieren. Statt im Wettbewerb von Blatt zu Blatt zu kriechen, spreizt er seine Flügel, stürzt sich vom altbekannten Blattgewächs hinab und fliegt in eine neue, nahezu schwerelose Welt.

Earth for All fordert der Club of Rome

Sobald sich also die Imagozellen einer neuen Lebensform, im übertragenen Bild prosoziale und umweltbewusste Menschen und Initiativen einer zukünftigen Potenzialentfaltungskultur zu vernetzen beginnen, gelangen wir an einen sozioökonomischen Kipppunkt. Das Spiel des Lebens verändert dabei seinen Charakter, aus dem Gewinnen und Verlieren wird ein Entfalten und Ausprobieren. Wird das sozialdarwinistische Survival of the fittest überwunden, können sich im kooperativen Survival of the friendliest die Menschen untereinander und mit der Natur versöhnen. Prosperieren sowohl Anthroposphäre als auch Biosphäre, wird ein sozial- und umweltgerechtes Überleben des Ganzen immer wahrscheinlicher, ein Survival of the whole.

Earth for All, so lautet dementsprechend auch die hoffnungsvolle Vision des Club of Rome fünfzig Jahre nach Die Grenzen des Wachstums. Wenn wir die Ungleichheit bekämpfen und das soziale Klima retten, retten wir auch das globale Klima. Zukunft ist immer, was wir daraus machen. Wir alle sind klima-, sozial- und wirtschaftssystemrelevant. Dabei ist unsere Lebenszeit die einzige Währung, die wir haben. Egal, ob es um das Banking, den Einkauf, die Mobilität oder das Wohnen geht: Leben ist immer eine Entscheidung. Zwischen Monopoly und Gemeinwohl. Zwischen Gegeneinander und Füreinander. Zwischen dem Fußabdruck des Habens und dem Herzabdruck des Seins. Zwischen EGO und ECO.

Zur Person

Thorsten Nieuwenhuizen

Thorsten Nieuwenhuizen ist studierter Wirtschaftsmathematiker und promovierte im Bereich Logistik an der Universität Hamburg. Er war bereits als Führungskraft in einem Handelskonzern, Studiengangsleiter für Risikomanagement, Professor für Organisationstheorie, Coach und Transformationsberater tätig. 2015 veröffentlichte er zusammen mit Dörte Nuhn das Buch "Unternehmung 21 - Wertschöpfung durch Wertschätzung". 2022 folgte sein Werk "Vom EGO zum ECO - Vom Fußabdruck zum Herzabdruck".

Zum Weiterlesen:

  • Anspach, Ralph: The Billion Dollar Monopoly® Swindle / MONOPOLYGATE, 1998
  • Bregman, Rutger: Im Grunde gut – Eine neue Geschichte der Menschheit, 2020
  • Club of Rome: Earth for all - Ein Survivalguide für unseren Planeten, 2022
  • Felber, Christian: Gemeinwohlökonomie – Das Wirtschaftsmodell der Zukunft, 2010
  • Göpel, Maja: Wir können auch anders – Aufbruch in die Welt von morgen, 2022
  • Hüther, Gerald: Was wir sind und was wir sein könnten – ein neurobiologischer Mutmacher, 2011
  • Laloux, Frederic: Reinventing Organizations – Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit, 2015
  • Meadows, Dennis; Meadows Donella et al.: Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 1972
  • Nieuwenhuizen, Thorsten: Vom EGO zum ECO – Vom Fußabdruck zum Herzabdruck, 2022
  • Pilon, Mary: The Monopolists – Obsession, Fury, and the Scandal Behind the World's Favorite Board Game, 2015
  • Razavi, Reza: Die Magie der Transformation – Wie wir Zukunft in Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam gestalten, 2022
  • Scharmer, Claus Otto; Käufer, Katrin: Von der Zukunft her führen – Von der Egosystem zur Ökosystem-Wirtschaft. Theorie U in der Praxis, 2014