In den Niederlanden herrscht akuter Personalmangel. Das zieht auf unseren Flughäfen lange Wartezeiten nach sich. Von den Zuständen in Bars und Restaurants ganz zu schweigen. Zudem drohen Engpässe in vielen Bereichen wie etwa Energie, Wasser, Wohnraum und Lebensmittel. Das ist Realität – bei uns und sicher in vielen weiteren europäischen Ländern. Unser Fazit kann also nur lauten: Wir brauchen mehr! Oder?

Halten wir an dieser Stelle doch einfach mal inne und denken genauer darüber nach. Ist dieses "Mehr" nicht eine etwas merkwürdige Schlussfolgerung? Haben wir wirklich ein Knappheitsproblem? Nein. In unserem Teil der Welt gibt es weder absolute Armut noch menschenunwürdige Lebensbedingungen im großen Stil. Warum nur bellt in uns jedes Mal der pawlowsche Hund, wenn etwas vermeintlich knapp wird – und wir schreien automatisch nach mehr?

Wir sind fest mit dem Gedanken verhaftet, dass „mehr“ im Sinne von mehr wirtschaftlicher Aktivität zugleich mehr Wohlstand bedeutet. Jedoch wird diese Logik von der Wirtschaftstheorie in keinster Weise gestützt. Denn wenn wir neben dem, was uns Freude bereitet – vom Fernurlaub über den Shoppingtrip bis zum Essengehen – auch die Schäden zugrundelegen, die diese Art von Konsum anrichtet, ändert sich das Bild ganz schnell. Bei einer tatsächlichen Erfassung der negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen unseres Konsumverhaltens würden wir schon lange kein Wirtschaftswachstum mehr ausmachen können.

Das Einzige, wovon wir möglichst schnell mehr brauchen, ist die kollektive Überzeugung, dass heute etwas weniger viel mehr für morgen heißt.
Hans Stegeman

Stattdessen würden wir sogar feststellen, dass weniger wirtschaftliche Aktivität auf lange Sicht zu mehr Wohlstand führt. Mehr Freizeit, weniger Übergewicht durch Überkonsum, weniger Kohlenstoffemissionen, weniger Stickstoffemissionen und weniger Verlust an Biodiversität. Oder, um ein dringlicheres Bild zu zeichnen: kein Zusammenbruch der Ökosysteme, auf die wir Menschen so sehr angewiesen sind.

Lassen Sie uns die Dinge doch einfach grundlegend ändern. Indem wir zum Beispiel die physischen Grenzen als Ausgangspunkt akzeptieren und die Wirtschaft nur noch innerhalb dieser Grenzen arbeiten lassen. Dazu müssten wir natürlich eine Begrenzung des Rohstoffabbaus akzeptieren. Und einsehen, dass das Anwerben von Wanderarbeitern für noch mehr wirtschaftliche Aktivität keinen Sinn macht. Ebenso müssten wir bereit zur konsequenten CO2-Reduktion sein.

Will heißen: Einen größeren Kuchen sollten wir nicht vordergründig aus mehr wirtschaftlicher Aktivität backen, sondern vielmehr aus dem Streben nach einem allgemeinen, ganzheitlichen Wohlstand. Preisanreize, Innovationen und Marktkräfte werden auch so ihre Relevanz behalten. Aber eben innerhalb strenger Grenzen. Das ist möglich. Ein gutes Beispiel dafür ist das einstige Verbot von Treibgasen, die für den Abbau der Ozonschicht verantwortlich sind. 

Warum nur unternehmen wir jetzt nichts? Ich kann es Ihnen sagen: Wir wollen keinen Millimeter unseres finanziellen Wohlstands aufgeben. Wir stecken in dem Glauben fest, dass „heute mehr“ unser Glück steigert. Denn wenn wir voraussetzen, dass auch immer mehr kommt, können wir uns aus der Verantwortung stehlen und munter weiter machen wie bisher. Viele Menschen sehen in materiellen Verlusten eine größere Bedrohung als im Klimawandel. Doch wenn man genau diese Menschen fragt, was ihnen wirklich wichtig ist, dann sprechen sie meist von immateriellen Dingen wie Gesundheit oder Glück der Kinder.

Also sind wir uns doch eigentlich alle einig. Das Einzige, wovon wir möglichst schnell mehr brauchen, ist die kollektive Überzeugung, dass heute etwas weniger viel mehr für morgen heißt.