Im Dezember 2020 hat sich die Triodos Bank in Deutschland einem breiten Bündnis von Akteuren angeschlossen, um mit einem gemeinsamen Aufruf die Bundesregierung aufzufordern für mehr Klimaschutz im Bau zu sorgen. Denn egal wie nachhaltig Neubauten sind, in den meisten Fällen ist es besser nicht neu zu bauen und stattdessen den Bestand neu zu denken. Genau das passiert aber kaum. 

Manuel Ehlers, Leiter Nachhaltige Immobilien bei der Triodos Bank Deutschland, hat sich dazu Gedanken gemacht:

Bei der Fra­ge nach einer nach­hal­ti­gen und schließ­lich kli­ma­neu­tra­len Stadt gibt es einen zen­tra­len Aspekt, der in der Vergangenheit fast aggres­siv ver­schwie­gen wurde – zum Glück sickern diese Fakten aber inzwischen in breitere Bevölkerungsschichten durch: Das Bau­en ist so, wie es in den letz­ten Jahr­zehn­ten prak­ti­ziert wur­de, in hohem Maße toxisch für die Umwelt. Emissionen aus dem Gebäude- und Bausektor sind für 38% der weltweiten energiebezogenen CO2-Emissionen verantwortlich. Tatsächlich kann man sogar von 50% ausgehen, die der Gebäudesektor direkt und indirekt verursacht, wenn man auch Infrastrukturmaßnahmen wie z.B. Brücken und Straßen berücksichtigt.

Auch in Deutschland sind Gebäude einer der CO2-Hauptverursacher: Alleine bei der Herstellung von Baustoffen werden ca. 8% der deutschen THG-Emissionen produziert, das entspricht dem durchschnittlichen jährlichen Flugverkehr aller Deutschen. Dazu zählt Zement zum Bei­spiel als ein ech­ter Kli­ma­kil­ler, sei­ne Her­stel­lung ist welt­weit für 8% der Treib­haus­gas­emis­sio­nen ver­ant­wort­lich, zudem ist er schlecht recy­c­le­bar. Und in Deutsch­land ver­ur­sacht das Bau­en mehr als 230 Mil­lio­nen Ton­nen an Bau- und Abbruch­ab­fäl­len jähr­lich, das sind über fünf­zig Pro­zent des Abfallaufkommens.

Ganz ein­fach gesagt: Kon­ven­tio­nel­les Bau­en mit Beton und Stahl ist mit dem Kon­zept einer kli­ma­neu­tra­len Stadt nicht ver­ein­bar. Klar ist, die Städ­te in aller Welt wach­sen rasant – und wo sol­len die gan­zen Men­schen woh­nen? Die­se Fra­ge hat eine erheb­li­che sozia­le Trag­wei­te. Auch in Deutsch­land ist der Wohnungsbau längst auf der Ebe­ne der Bun­des­po­li­tik ange­kom­men. Im aktuellen Koalitionsvertrag ist die Vereinbarung niedergelegt, jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Was dabei über­rascht: Allein 2018 wur­den sta­tis­tisch gesehen 172.000 Woh­nun­gen zu viel gebaut. Dies ergibt sich aus dem Bevöl­ke­rungs­an­stieg von 227.000 Ein­woh­nern und rech­ne­risch dafür benö­tig­ten 113.500 Wohn­ein­hei­ten. Tat­säch­lich wur­den aber in die­sem Zeit­raum 285.900 Wohn­ein­hei­ten neu gebaut. Das erscheint als kras­ser Wider­spruch für alle die­je­ni­gen, die erfolg­los auf der Suche nach einer bezahl­ba­ren Woh­nung sind.

Zement zum Bei­spiel ist ein ech­ter Kli­ma­kil­ler, sei­ne Her­stel­lung ist welt­weit für acht Pro­zent der Treib­haus­gas­emis­sio­nen ver­ant­wort­lich
Manuel Ehlers

Wer jetzt sagt, das gilt nicht für die Metro­po­len, dem sei fol­gen­des Zah­len­ver­hält­nis ans Herz gelegt: Die Stadt Ber­lin ist 2018 um 31.300 Ein­woh­ner:innen gewach­sen, sta­tis­tisch hät­te es dafür 15600 neue Woh­nun­gen gebraucht – gebaut wur­den aber sogar 16706 neue Woh­nun­gen. Im Jahr 2021 ist die deutsche Hauptstadt um ca. 13.400 Einwohner:innen gewachsen, genehmigt wurden knapp 18.800 neue Wohnungen.

Den­noch ruft die Immo­bi­li­en­bran­che man­tra-artig von ​„Bau­en, Bau­en, Bau­en“. Die For­de­rung nach mehr Neu­bau folgt dem makro­öko­no­mi­schen Mus­ter, dass der Preis (also die Mie­te) sich schon regu­lie­ren wür­de, wenn das Ange­bot stimmt – doch die­se Glei­chung geht schon durch Zweck­ent­frem­dung in Milieu­schutz­ge­bie­ten, Airb­nb und spe­ku­la­ti­ven Leer­stand nicht auf.

Die stän­di­ge For­de­rung nach Neu­bau­ten ist des­halb naiv oder lob­by­is­tisch moti­viert – und lässt die Fra­ge des Über­le­bens des Pla­ne­ten außer Acht. Boden ist kein belie­big ver­mehr­ba­res Gut – schon gar nicht in Ber­li­ner Bezir­ken wie Fried­richs­hain-Kreuz­berg. Bau­en braucht Zeit – eine Woh­nung, die heu­te benö­tigt und nach­ge­fragt wird, ist erst zwei bis drei Jah­re spä­ter bezugs­fer­tig. Das Bau­en in der gegen­wär­ti­gen Form igno­riert meist die Fra­ge, was gebaut wer­den soll, für wen und von wem – und vor allem, in wel­cher Art und Wei­se. Sinn­vol­le Ant­wor­ten auf die­se Fra­gen kom­men weder von der Poli­tik noch aus dem Bau­sek­tor selbst. Wer genau­er hin­schaut fin­det ers­te gute Ansät­ze in Bür­ger­initia­ti­ven oder Zusam­men­schlüs­sen wie dem Netz­werk ​“Immo­vie­lien”, einer Platt­form für gemein­wohl­ori­en­tier­te Akteu­re rund um das The­ma Bauen.

Manuel Ehlers

Die Immo­bi­li­en­bran­che ver­steht unter Nach­hal­tig­keit kein zukunfts­ori­en­tier­tes, ganz­heit­li­ches Han­deln unter Berück­sich­ti­gung der Lebens­zy­klus­kos­ten, son­dern ein ​“Wei­ter so”, viel­leicht ergänzt um neue, ver­meint­lich smar­te Tech­no­lo­gi­en. Unser CO2-Kon­to ist längst ver­braucht:

Für eine Erreichung des 1,5 Grad Ziels mit 50% Wahrscheinlichkeit kann Deutschland zwischen 2020 und 2050 noch 4,2 Gigatonnen CO2 emittieren. Das entspricht 1% des globalen Anteils und spiegelt den Bevölkerungsanteil wider. Aktuell liegt Deutschland aber noch bei 2%. Wenn man berechnet, dass der Anteil für Hochbauaktivitäten 10% des verbleibenden Restbudgets beträgt, dann dürfen noch ca. 350 Mio. tCO2e dafür verbraucht werden. Damit würde das 1,5°-Budget nur noch bis 2034 reichen, wenn wir so weiter bauen wie bisher (25,4 Mio. tCO2/a).

Wenn wir Nach­hal­tig­keit ernst neh­men, sind die Kli­ma­zie­le nicht mit neu­en smar­ten Tech­no­lo­gi­en zu errei­chen, son­dern fast aus­schließ­lich mit dras­ti­scher Reduk­ti­on. In Deutsch­land beträgt die durch­schnitt­li­che Wohn­flä­che 46,5 Qua­drat­me­ter pro Kopf – Ten­denz stei­gend. Da stellt sich die Fra­ge nach der Suf­fi­zi­enz, und ob das eine rich­ti­ge Ent­wick­lung ist. Die nach­hal­tigs­te Art zu bau­en ist ein­deu­tig – und da dürf­ten sich alle einig sein – nicht zu bau­en. Es ist im Übri­gen auch sach­lo­gisch, dass die Mie­te in einem Bestands­ge­bäu­de gerin­ger ist, als die Mie­te, die an der­sel­ben Stel­le in einem Neu­bau gezahlt wer­den muss, die nicht nur die Kos­ten für den Abriss, son­dern auch den Neu­bau selbst erwirt­schaf­ten muss. Die­ser Logik fol­gend, müss­te es ein gene­rel­les Abriss­ver­bot geben.

Nicht nur laufenden Energieverbrauch berücksichtigen, sondern auch Lebenszykluskosten

In Bezug auf Immo­bi­li­en müs­sen wir ganz­heit­lich betrach­tet nicht nur den lau­fen­den Ener­gie­ver­brauch einer Immo­bi­lie berück­sich­ti­gen, son­dern auch die Lebens­zy­klus­kos­ten und den CO2-Ruck­sack, den das kon­ven­tio­nel­le Bau­en mit sich trägt – von der Erstel­lung bis zur Ent­sor­gung, die sogenannten grauen Emissionen. Der CO2-Aus­stoß bei der Pro­duk­ti­on von Bau­ma­te­ria­li­en wird fast immer aus­ge­blen­det, was dadurch erleich­tert wird, dass immer noch kei­ne ver­nünf­ti­ge Beprei­sung von CO2 exis­tiert. Dabei entstehen ca. 11% der globalen Emissionen eben durch genau diese Baustoff-Herstellung.

Im Jahr 2020 waren das für Deutschland umgerechnet 54 Millionen Tonnen CO2e, wovon weiterhin 44 auf Neubau und 10 auf Sanierungen entfallen. Interessanterweise werden mit diesen Emissionen fast genauso viele Flächen neugebaut, wie saniert (55 Millionen m² vs. 49 Millionen m² pro Jahr). Es zeigt sich also ein deutlicher emissionsbedingter Vorteil in Sanierungen.

Wenn man einen rea­lis­ti­schen Preis für CO2 in Form einer CO2-Steu­er von 180 Euro pro Ton­ne zugrun­de legt, wie es von Sci­en­tists for Future und ande­ren gefor­dert wird, wür­de das den End­preis von Beton bei­spiel­wei­se fast verdoppeln.

Es stellt sich also öko­no­misch, öko­lo­gisch und kul­tu­rell die Fra­ge: Was wäre, wenn wir ein Abriss­ver­bot hät­ten? Tat­sa­che ist: Wir müs­sen mit res­sour­cen­scho­nen­den, loka­len, nach­wach­sen­den Mate­ria­li­en arbei­ten – in ers­ter Linie und soweit kon­struk­tiv und brand­schutz­tech­nisch mög­lich mit Holz, Lehm und Hanf. Ein Sze­na­rio, das sich in der Kon­se­quenz eines Abriss­ver­bo­tes in Kom­bi­na­ti­on mit einer ver­nünf­ti­gen Post-Wachs­tums­ge­sell­schaft mani­fes­tiert, wäre zum Bei­spiel eine Land­schaft diver­ser leer­ste­hen­der Shop­ping-Malls. Die­se dann ein­fach abzu­rei­ßen, wäre für vie­le Kon­sum­kri­ti­ker sicher­lich eine gro­ße Genug­tu­ung – und gleich­zei­tig sind sie ein wert­vol­les Mahn­mal einer Kon­sum­ge­sell­schaft, an der wir um ein Haar kaputt gegan­gen wären.

Leere Einkaufszentren als Aquaponik-Anlagen

Die­se lee­ren Ein­kaufs­zen­tren lie­ßen sich wun­der­bar nach­nut­zen, indem sie etwa zu ver­ti­ka­len Gewächs­häu­sern und Aqua­po­nik-Anla­gen (das ist die Gemü­se­zucht in erd­lo­sen Was­ser-Anla­gen, die etwa in Tel Aviv schon heu­te im gro­ßen Stil betrie­ben wird) umfunk­tio­niert wer­den. Sie kön­nen ohne lan­ge Trans­port­we­ge die Stadt mit Nah­rungs­mit­teln ver­sor­gen. Auf den Dächern wer­den kom­mu­na­le Gär­ten ent­ste­hen, die auch Treff­punkt und zusätz­li­che Grün­flä­chen in der Stadt sind. Die Stadt wür­de so suk­zes­si­ve zu einer grü­nen Oase, die sogar im Stan­de ist, einen posi­ti­ven Bei­trag zum Kli­ma­schutz zu leisten.

Ein posi­ti­ves Bei­spiel dafür, wie bereits begon­nen wird, zen­tral gele­ge­ne und nicht aus­rei­chend genutz­te Flä­chen nach­zu­nut­zen, ist auf dem Park­haus im Ring-Cen­ter 2 in Ber­lin ent­stan­den. Hier ist auf dem obers­ten und fast nie von Auto­fah­rern benutz­ten Park­deck ein Hotel mit 152 Zim­mer in Holz­mo­dul­bau­wei­se ent­stan­den. Es wur­de also eine inner­städ­ti­sche Bra­che nach­ge­nutzt und mit einer Bau­wei­se ver­dich­tet, die auf­grund des Mate­ri­al­ein­sat­zes in der Her­stel­lung kli­ma­neu­tral oder sogar bes­ser ist, weil das Holz aus nach­hal­ti­ger Forst­wirt­schaft mehr CO2 gespei­chert hat, als durch Ver­ar­bei­tung und Trans­port anfällt.

In einem ande­ren bei­spiel­haf­ten Pro­jekt wur­den in einem leer­ste­hen­den und dem Abriss geweih­ten Indus­trie­ge­bäu­de in einem süd­li­chen Stadt­teil Ber­lins leer­ste­hen­de Flä­chen so her­ge­rich­tet, dass sie jetzt über 60 Künst­ler­ate­liers beher­ber­gen. Direkt gegen­über wur­de hin­ge­gen eine bestehen­de Immo­bi­lie platt gemacht, um eine Logis­tik­hal­le für einen rie­si­gen Ver­sand­händ­ler zu bau­en. Hier fah­ren nun die pre­kär beschäf­tig­ten Kurie­re in ihren Die­sel­kut­schen ein und aus, um im Inter­net bestell­te Waren inner­halb von weni­gen Stun­den in die Stadt aus­zu­lie­fern. Genau wie die Ent­wick­lung neu­er Shop­ping-Malls in Ber­lin ist dies eine höchst denk­wür­di­ge Ent­wick­lung und völ­lig ent­ge­gen der Uto­pie einer kli­ma­ge­rech­ten Stadt, der kur­zen Wege und der loka­len Produktion.

Wenn wir ein Abriss­ver­bot hät­ten, wür­den wir also nicht nur ver­wais­te Shop­ping­cen­ter auf nach­hal­ti­ge Wei­se nach­nut­zen und in den Dienst der Stadt­ge­sell­schaft stel­len, wir wür­den auch ver­hin­dern, dass wei­ter Ver­wer­tungs­phan­ta­si­en von Inves­to­ren ange­heizt wer­den. Dass die Boden­prei­se in Bal­lungs­räu­men immer neue Höhen errei­chen, liegt auch an der fortwährenden Befrie­di­gun­gen von Ren­di­te­ver­spre­chen und Ver­dich­tung des Stadt­raums mit Hoch­häu­sern, Mikro­apart­ments oder Kapselhotels.

Schließlich würde auch der ländliche Raum profitieren: Das Potenzial an leerstehende oder unternutzte Gebäude ist riesengroß. Sobald die Infrastruktur intakt ist und der Glasfaseranschluss liegt, ergeben sich ganz neue Potenziale – alles zum Schutz des Klimas und zur Verhinderung von unnötigem Neubau in Ballungszentren.