Eigentlich wissen wir doch alle ganz genau, zu welch erbärmlichen Bedingungen billige Kleider gefertigt werden oder welche Konsequenzen Flugreisen für das Klima haben. Trotzdem machen viele von uns weiter wie immer. Warum?

„Denn sie wissen nicht was sie tun“, gilt für uns Konsumenten schon lange nicht mehr. Wir wissen ziemlich genau was wir tun und welche Konsequenzen unser Tun für Umwelt und Gesellschaft hat. So ziemlich alle von uns sind sich bewusst, unter welch erbärmlichen Bedingungen konventionelle Klamotten hergestellt wurden. Fast jeder weiß, wie weit eine Kiwi gereist ist, um im Supermarktregal zu liegen und wir alle haben schon einmal von Konfliktmaterialien gehört, die in unseren Smartphones stecken.

Und nun? Der Großteil von uns kauft weiter Kiwis, günstige Klamotten und das neue iPhone. Wir schaffen es nicht, unser Wissen in die Praxis zu übertragen, bekommen es nicht hin, das sogenannte „Mind-Behavior-Gap“ zu überwinden. Woran liegt das?

Liegt es am Preis, daran, dass biologische und faire Produkte teurer sind? Klassische Kosten-Nutzen-Ansätze können Teile der Kluft erklären, aber bei Weitem nicht alles. Ja, Menschen sind preissensibel, das heißt, sie greifen im Supermarkt zum konventionellen Apfel, weil er 10 Cent billiger ist als der biologische. 

Natürlich spielt auch der Geldbeutel eine Rolle: Viele Menschen können sich teurere Bio-Lebensmittel nur schwer leisten. Im Umkehrschluss hieße dies aber auch, dass reiche Menschen nachhaltiger leben als arme. Doch das Gegenteil ist der Fall: Sie können mehr konsumieren und tun dies in der Regel auch. Viele wohlhabende Zeitgenossen kaufen im Biosupermarkt ein, fahren dorthin aber mit dem SUV und entspannen im nachhaltigen Yoga-Retreat auf Bali, um nur einige plakative Beispiele zu nennen. Es gibt – und das sei hier ganz bewusst erwähnt – eine steigende Zahl von Menschen, die ihr Geld (auch wenn sie gar nicht so viel übrige haben am Ende des Monats) ganz bewusst einsetzen, um nachhaltiger zu konsumieren. Sie verzichten für den Einkauf im Bioladen an anderer Stelle oder kaufen teure, hochwertige Produkte, die lange halten.

Was also kann neben Kosten-Nutzen-Abwägungen das Mind-Behavior-Gap erklären? Die Macht der Gewohnheit spielt sicherlich eine zentrale Rolle. Es ist nicht einfach, den eigenen Lebensstil zu ändern und beispielsweise auf Flugreisen zu verzichten, das Auto zu verkaufen oder weniger Fleisch zu essen.

Auch das Verdrängen ist von Bedeutung für die Erklärung der Kluft zwischen Wissen und Handeln. Warum sollten eine Dürre und eine Hungerkrise in einem weitentfernten Land mit mir in Zusammenhang stehen? Was habe ich mit damit zu tun, wenn die Arbeitsbedingungen in Bangladesch so miserabel sind? Fakt aber ist: Wir als Teil der Verbraucher im globalen Norden schaffen die Nachfrage für billige Kleidung. Wenn die ganze Weltbevölkerung so leben würde wie wir in Deutschland, bräuchten wir 3,2 Erden. Zusammenhänge, bei denen wir wissen, dass unser Lebensstil als ein winziges Puzzleteil des großen Ganzen sehr wohl damit zusammenhängt, können wir nicht ständig sehen. Wir verdrängen sie.

Die Welt ist so unglaublich komplex, dass Verdrängen ein ganz normaler Prozess ist. Verdrängen ist sogar wichtig und gesund. Wir alle leben mit Widersprüchen, machen Kompromisse. Unsere Überzeugungen und Werte passen wir unserem Verhalten an, unser Gehirn minimiert diese Kluft. Es spielt uns zudem einen Streich: Es baut sich eine Theorie und sucht dann danach, sie zu verfestigen und zu bestätigen. So gaukeln wir uns vor, schon nachhaltig genug zu leben und holen uns selbst immer wieder die Bestätigung dafür ein. In diesen völlig normalen und gesunden Prozessen liegt aber die Gefahr, dass wir irgendwann zu viele Kompromisse machen und uns zu wenig selbst reflektieren.

Eine gewichtige Ursache des Mind-Behavior-Gap ist sicherlich auch unsere Sucht nach neuen Produkten. Die Sucht ist eine der Säulen, auf denen moderne Konsumgesellschaften ruhen. Ein gut konstruiertes, schickes Smartphone, ein tolles neues Auto oder der modernste Flachbildfernseher – all das fasziniert uns. Wir wollen wenn möglich immer das neueste, technisch Beste haben. Ein solches Produkt sei wie „ein Kunstwerk, das wir andächtig streicheln, begehren und nutzen“, schreibt der Autor und Paartherapeut Wolfgang Schmidbauer. Das Problem dabei: In Konsumgesellschaften werden diese Dinge massenhaft erzeugt – auf Kosten der Umwelt und anderer Menschen, heute und in Zukunft.

Die Kluft zwischen Wissen und Handeln hat psychologische, systemische oder kosten-nutzen-basierte Ursachen, von denen hier nur wenige angerissen wurden. Es ist ein komplexes Problem, das es tunlichst zu lösen gilt, wenn wir soziale und ökologische Nachhaltigkeit erreichen wollen.